St. Gangolf

St. Gangolf

Wann kam St. Gangolf nach Meudt?

Der Historiker Siegel (s. Quellenangabe unten) geht davon aus, dass die meisten Gangolfuspatrozinien (Kirchenstiftungen mit dem Namen des Heiligen) kurz vor dem Tod des Heiligen Gangolfus um 760 entstanden seien. In Meudt spreche einiges dafür. Er begründet das mit den topographischen und historischen Beobachtungen der Orte, an denen Gangolf verehrt wird. Die meisten dieser Patrozinien finden sich in abgelegenen Gegenden. Sie liegen allerdings in der Nähe mittelalterlicher Fernwege oder in Siedlungsräumen frühkarolingischer Zeit: an Straßenstationen, fränkischen Forstbesitzungen mit extensiver Nutzung zur Versorgung der Fernwege en.  Da die alten Fernwege abseits der Siedlungen über trockene Höhenwege verliefen, hatten Quellen und Brunnen eine große Bedeutung. Die erwähnten Gangolfuspatrozinien gingen selten über die Grenzen des fränkischen Reiches unter König Pippin dem Jüngeren (754-768) hinaus. Für unsere Frage bedeutend ist es, dass im Aufmarschgebiet zur Sachsen – und Slawengrenze – also an den Straßenzügen vom Rhein über Wetterau, Vogelsberg, Rhön und Thüringen – solche häufig zu finden sind. Ihre Blütezeit ging mit der Regierungszeit Karls des Großen (768 – 814) zu Ende.

Das alles deckt sich mit den Bedingungen, für Meudt. Die Lage am Rand frühmittelalterlicher Fernwege – hier die Hohe Straße von Antwerpen über Köln, Limburg nach Frankfurt und weiter bis nach Passau (heute B 8). Diagonal kreuzte sie bei Meudt dem Verbindungsweg zwischen dem Reichsgut um Montabaur und Gemünden, der die kürzeste Verbindung zwischen Koblenz / Vallendar und dem Fernweg nach Herborn-Hersfeld –Kassel – Thüringen zur östlichen Sachsengrenze bildete und die kürzeste Verbindung zum Raum Siegen herstellte. Ausgangspunkt dieser Diagonale war der Rheinübergang bei Vallendar mit der Rheininsel Niederwerth. Dort befindet sich ebenfalls ein Gangolfuspatrozinium. Meudt liegt andererseits im Nahbereich des mittelalterlichen Sporkenwaldes bei Montabaur. Waldgebiete waren im Mittelalter Königsgut. Viele von ihnen waren am Ende der Merowingerzeit entfremdet worden, und die frühen Karolinger, zu denen Pippin gehörte, gingen nun daran, diese zurückzugewinnen und durch Neuansiedlungen zu erweitern. Reichsgut in der Nachbarschaft von Fernstraßen spielte eine bedeutende Rolle zur Versorgung der durch „Umherziehen“ regierenden  Könige  Die bis heute existierende Bezeichnung „Forst“ für ein großes Meudter Waldstück, das über die Gemarkungsgrenzen hinausreicht, weist auf frühen karolingischen Königsbesitz hin. Die Aufgabe der Rückgewinnung karolingischen Besitzes fiel den frühkarolingischen Grafen zu, schon bevor es eine auch geographisch abgesteckte Grafschaftsverfassung gab. Gangolf war ein bedeutender Offizier Pippins des Jüngeren und als solcher wohl auch mit der Neuorganisation von Fernwegen und des fränkischen Reichsgutes betraut. Zu seinen Aufgaben gehörte es ´wohl auch, an Orten mit fränkischer Bevölkerung Kapellen am bedeutenden Rast- und Versorgungsstationen im Bereich der Fernwege zu errichten. Meudt gilt als sehr alter Ort, dessen Name aus vor– oder frühgermanischer Zeit von einem alten Gewässer abgeleitet werden kann. Seine Lage an einer überregionalen Fernstraße, seine regionale Bedeutung unterstreicht auch die Vermutung, dass die Durchfahrt durch das Rathaus eine alte Zollstelle – wenn auch in späteren Zeiten – gewesen sein könnte. Insofern ist die Vermutung berechtigt, dass die Standesgenossen Gangolfus hier eine Kapelle mit dem Patronat des schon bald nach seinem Tode als Heiligen Verehrten errichteten. Die Vermutung, dass es sich in Meudt um einen Rastplatz handelte, der sich in der Nähe eines alten Fernwegs befand, erschließt sich auch aus der Sage um den Gangolfusbrunnen. Eine Jüdin soll durch das Waschen von Windeln den Brunnen entweiht und zum Abziehen veranlasst haben. Dabei passt ihr Verhalten, nachdem sie die Folgen ihres Fehlverhaltens erkannt hat, überhaupt nicht in das mittelalterliche Klischee von den Juden als Brunnenvergifter. Sie tut alles, um ihren Fehler wiedergutzumachen, indem sie in die Kirche eilt und um geistliche Hilfe bittet. Die Prozession der christlichen Gemeinde kann den Brunnen zwar zurückholen, aber nicht mehr an seinen alten Platz, sondern nur noch bis zum Dorfrand. Die letzte Bemerkung erschließt nach W. Siegel den Kern der Sage: Diese wolle darüber berichten, dass der Brunnen früher an anderer Stelle lag. Die Frage ob die Lage des Brunnens an einem Fernweg oder bei der Kapelle gemeint ist, muss dabei offen bleiben. Für beide Möglichkeiten bietet die Erwähnung der Jüdin einen Hinweis auf die Lage Meudts an einem bedeutenden Fernweg, „denn Juden werden im frühen Mittelalter in dem kleinen Ort nicht gewohnt haben. Sie traten eher als reisende Kaufleute auf, denen die Heiligkeit des Brunnens nicht bekannt war“ (Zitat Siegel s.o.  S. 8).  Ein Flurname könnte einen Hinweis auf einen Rastplatz geben. Für die Lage des Brunnens könnte der Name „Bensche Gässje“ = "Börnchen Gässchen"(heute Seitenstraße der Färberbachstraße) aufschlussreich sein. Dieses Gässchen liegt in unmittelbarer Nähe des Rathauses, in dessen direkter Nachbarschaft einst die Gangolfuskirche stand.

Auf diesem Foto von 1911 ist ein Brunnen in der Nähe der Gangolfuskirche und gegenüber dem "Bennsche Gässje" zu sehen - allerdings handelt es sich hier um einen Ziehbrunnen.


Schwierig ist auch die Frage zu beantworten, wie es in unserem Raum zur Verehrung des Heiligen Gangolfus kam. Die Zugehörigkeit von Meudt zum Kurfürstentum und der Erzdiözese Trier, wo Gangolfus in besonderer Weise verehrt wurde, spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die politische Organisation des Frankenreiches zur Zeit des Königs Pippin, dessen Zeitgenosse Gangolf war. In der Lebensgeschichte des Heiligen ist seine Gabe, Brunnen zu stiften von Bedeutung. Der bis in vorgermanische Zeit zurück zu verfolgendem Kult der Verehrung von Quellen wird im Christlichen durch die Bedeutung des Wassers als wesentliches Element des Sakraments der Taufe religiös überhöht. Beide Elemente, das heidnische wie das christliche, wirken bis in unseren Meudter Brauch der Reinigung des Brunnens am Pfingstsamstag und der Segnung bei der Prozession am Pfingstmontag hinein. (Quelle: W.Siegel, Wann Kam St. Gangolf nach Meudt, Kiel 1992)